Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - Galizien |
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Galiziendeutsche
in Österreich von 1939-heute (1976)
Einwanderer
und Flüchtlinge, die seit 1939 nach Österreich
gekommen sind:
Da
sind zunächst die ganz wenigen Landsleute zu
erwähnen, die gleich nach dem Ende des deutsch-polnischen
Krieges 1939 direkt nach Österreich gekommen
und hier geblieben sind. Das waren vor allem jüngere
Menschen, die zu Hause keine feste Bindungen, keinen
Beruf, oder keine Stelle und darum keine Aussicht
auf eine gesicherte Zukunft hatten und sie hier im
Vertrauen auf die Hilfe von Verwandten oder bekannten
in Österreich suchten.
Eine
zweite auch nicht grosse Gruppe Galizier kam nach
der Umsiedlung 1939/40 über verschiedene Flüchtlingslager
nach Österreich. Diese Landsleute zogen es vor,
sich mit dem Hinweis auf Zusicherung von Verwandten
und Freunden nach Österreich zu melden, die sie
aufnahmen oder ihnen eine Wohnung verschafften, sie
unterstützten und ihnen über die ersten
Schwierigkeiten hinweghalfen.
Hier wären um einige Namen zu nennen, Dr. Walter
Bisanz anzuführen, der mit seinen Eltern über
das Übersiedlungslager St. Annaberg in Oberschlesien
nach Wien kam; auf dem gleichen Wege sind die Eltern
von Pfarrer Bisanz, Heinrich und Maria, geb. Wallascheck,
im Juli 1940 nach Loipersbach im Burgenland, Dr. Martha
Lercher über Schlesien und Gertrude Birkefellner,
geb. Bisanz, aus Zakopane nach Österreich gekommen.
Einzelne
Landsleute, die die Umsiedlungsaktion um die Wende
1939/40 ungenutzt hatten vorüber gehen lassen,
weil sie sich nicht von der Heimat trennen konnten
und einige Monate unter russischer Herrschaft gelebt
hatten, liessen sich von der letzten Umsiedlungskommission,
die nach Galizien kam, erfassen und Ende Mai 1940
umsiedeln. Darunter war z.B. die Familien Foitik aus
Lemberg, die über verschiedene Lager Ende Oktober
1940 nach Wien kam.
Die
grösste Zahl der Landsleute aber kam erst gegen
Ende des Zweiten Weltkrieges nach Österreich,
also 1944/45, als Flüchtlinge mit mehr oder weniger
Hab und Gut, in manchen Fällen nur mit dem, was
sie auf dem Leibe trugen, und auf verschiedenen Wegen.
Als
die Russen vorrückten, verliessen mit dem allgemeinen
Flüchtlingsstrom aus Ostgalizien auch einzelne
Landsleute, die von der Umsiedlungsaktion im Jahre
1939/40 keinen Gebrauch gemacht hatten, die Heimat
und schlugen, wie ich es beispielsweise von der Familie
Kanniak (Laya) aus Kaltwasser weiss, auf abenteuerlichen
Umwegen nach Österreich durch.
Aus
Westgalizien mussten die Landsleute erst im Sommer
1944 weg. Die meisten zogen mit dem Treck in Richtung
Deutschland, aber es gab auch solche, die sich bei
der von den deutschen Behörden angeordneten Räumung
Marschbefehle nach Österreich ausstellen liessen.
Sie gingen zu Freunden, Verwandten und Bekannten,
die inzwischen durch die Bombenangriffe zum Teil selber
kein Dach mehr über dem Kopf hatten. Beispiel:
Lehrer Leopold Welch aus Hohenbach, Familie Oberrechnungsrat
Karl Hulski aus Kreczow und andere.
Auch
von den in Schlesien, in Litzmannstadt oder Wartheland
angesiedelten Landsleuten liessen sich einige nicht
von dem allgemeinen Flüchtlingsstrom nach dem
Westen mitreissen, sondern zogen nach Süden,
um nach Österreich zu gelangen; manche schon
früher, manche aber erst im letzten Augenblick,
auf verschiedenen Wegen, einzeln oder in Familien,
in keinem Fall aber in grösseren Gruppen.
Als anschauliches Beispiel kann ich hier den Weg der
Lehrerin Elsa Müller aus Lemberg anführen. Am 18. 01. 1945 floh sie bei Schnee und Frost mit
dem Flüchtlingsstrom vor den Russen zu Fuss und
nur mit einer Aktentasche nach Westen, landete in
Spremberg, brach am 16. 02. 1945 wieder auf, erst
mit der Bahn, dann zu Fuss um das brennende Dresden
herum und wieder mit der Bahn, dem Autobus und zu
Fuss und landete am 20. 02. 1945 krank und am Ende
der Kräfte bei der Schwester in Wien.
Von
keinem Bundesland, ausser Wien, und von keiner Gegend
in Österreich kann man sagen, dass sich in ihnen
besondere Zentren von Galiziendeutschen gebildet hätten,
wie es bei anderen, allerdings bedeutend grösseren
Gruppen von Volksdeutschen der Fall war. Diese kamen
in grösseren Trecks nach Österreich und
blieben hier auch beisammen. Unsere Landsleute aber,
die einzeln oder nur zu zweit und dritt kamen, verschlug
es in die verschiedensten Gegenden, vom Neusiedlersee
bis zum Bodensee, in Städte genauso wie aufs
Land.
Soweit ich feststellen konnte, hat nicht nur jede
Familie, sondern fast jeder einzelne Galiziendeutsche,
der schliesslich gewollt oder auch ungewollt in Österreich
landete, ein ganz besonderes Schicksal, ist seine
eigenen Wege gegangen oder geführt worden. Diese
Generation der in Österreich alt eingesessenen
Deutschgalizier hängt, soweit sie noch am Leben
ist, mit einer oft rührenden Liebe an der alten
Heimat, die Kinder und Enkel aber, die schon hier
geboren und aufgewachsen sind, wollen kaum noch etwas
von der Herkunft ihrer Eltern und Vorfahren wissen;
vielleicht von einigen Fällen abgesehen. In der
unserem Schlag eigenen Anpassungsfähigkeit gingen
sie schon fast durchweg im Österreicherturm auf,
assimilierten sich so, dass bei ihnen nichts mehr
an die alte Heimat der Vorfahren erinnert.
Von
den deutschen Behörden ist in den Jahren 1939
bis 1945 jedenfalls von Amts wegen keine Unsiedelung
von Galiziendeutschen nach Österreich vorgenommen
worden, obzwar das gar nicht so abwegig gewesen wäre.
Hätte doch Joseph II. einst Vorfahren aus Westdeutschland
zur wirtschaftlichen und kulturellen Hebung des Landes
nach Galizien gerufen, das nach der Teilung Polens
an Österreich gefallen war und durch fast 150
Jahre - bis zum Ende des Ersten Weltkrieges - als
Kronland zu Österreich gehörte. Alle, die
nach 1939 nach Österreich gekommen sind, kamen
aus freiem Entschluss oder durch besondere Umstände
gezwungen oder rein zufällig her.
Zu
finden in "Neubeginn und Aufbruch" Heimatbuch
der Galizeindeutschen Teil 2 auf den Seiten 394-404
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