Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - Galizien |
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Galiziendeutsche
in Österreich von 1939-heute (1976)
Schwierigkeiten
und Nöte
Nach
den grossen Schwierigkeiten der Flucht und bei manchen
auch noch des Lagerlebens kamen hier neue, nicht weniger
grosse Nöte dazu. Man muss sich die Situation
hier im Lande bei Kriegsende nur einmal vergegenwärtigen.
Welches Chaos herrschte da! Hunderttausende Flüchtlinge
aus aller Herren Länder, vor allem aus dem Osten
und Südosten Europas, Hunderttausende Reichsdeutsche,
die in Österreich Schutz gesucht hatten vor den
Fliegerangriffen in Deutschland, oder gemeint hatten,
den Krieg in der "Alpenfestung" noch am
besten überstehen zu können, bevölkerten
zusätzlich Städte und Dörfer. Dazu
kamen noch überfüllte Arbeitsdienstlager
mit Fremdarbeitern und Zwangsarbeitern, die gegen
Ende des Krieges mit ihren Betrieben immer mehr nach
Österreich verlegt worden waren, überfüllte
Kriegsgefangenenlager und Konzentrationslager, die
beim Näherkommen der Alliierten mit Insassen
aus aufgelassenen Lagern anderer Gegenden unvorstellbar
vollgestopft wurden, sie alle öffneten beim Zusammenbruch
ihre Tore, und die Internierten überfluteten
zu Hunderttausenden zusätzlich das Land.
In dieser Situation war die Lage der Flüchtlinge
im Allgemeinen und damit auch der Galiziendeutschen
unsagbar schwer. Der kleine Österreichische Staat,
der vorher kaum 6 Millionen Einwohner hatte, umfasste
nun über 1,5 Millionen Menschen mehr und war
nicht bereit, weithin auch nicht in der Lage, die
Last der Betreuung aller versetzten Personen auch
nur vorübergehend zu übernehmen, geschweige
denn ihnen allen auch die Aufenthaltsgenehmigung und
eine Existenzmöglichkeit zu geben.
Die vier Besatzungsmächte (Amerikaner, Engländer,
Franzosen und Russen) errichteten eigene Ämter
und setzten Offiziere zur Betreuung und zum Abtransport
der versetzten Personen (der DP´s), der Flüchtlinge
und Reichsdeuteschen ein. Die Besatzungsmächte
behielten sich auch die Aufsichts- und Vollzugsgewalt
über alle diese Menschen vor. Erst im Zuge der
langsamen Erstarkung der Behörden des wieder
selbstständig gewordenen Österreich wurden
nach und nach die österreichischen Behörden
in diese Funktionen eingeschaltet, jedoch so, dass
die Besatzungsmächte die Aufsicht behielten.
Problem Nummer eins bei den Flüchtlingen war
die Wohnungsnot. Die Notunterkünfte, in denen
die Menschen Hausen mussten, waren vielfach menschenwürdig
und bei manchen dauerte diese Not lang. Ich kenne
Landsleute, die in Niederösterreich 20 Jahre,
also bis 1965, in Baracken untergebracht waren. Noch
1953 lebten 47.795 Flüchtlinge in Barackenlagern,
von ihnen waren 426 deutschsprachige aus Polen. Den
genauen Anteil an Galiziendeutschen daran kann ich
nicht angeben, aber einige dieser Fälle sind
mir bekannt, etwa die Schicksale der Schwestern Leibrock,
Auguste Gurawski und Eleonore Kochanski. Sie sind
nach der Umsiedlung1939/40 durch zwölf Lager
durchgegangen, bis sie schliessslich 1945 im Barackenlager
Horn, Niederösterreich, landeten und dort noch
jahrelang leben mussten; Auguste Gurawski sogar bis
1965, bis sie in Wien eine Wohnung bekam.
Eine
weitere Not: der Grossteil der Flüchtlinge hatte
alles verloren. Selbst die letzten Habseligkeiten
waren manchen unterwegs abhanden gekommen oder sie
hatten sie zurücklassen müssen. Viele standen
ohne Geld und ohne Einkommen da, vor allem die älteren
Leute; denn der österreichische Staat fühlte
sich nicht verpflichtet, Pensionen oder Renten auszuzahlen.
Selbst in offensichtlichen und grossen Notfällen
waren die kommunalen Stellen in den ersten Zeiten
nicht in der Lage oder nicht willens zu helfen. Kirchliche
Gemeinden, oder andere Kirchliche Stellen waren nur
in sehr beschränkter Weise in der Lage, Fürsorgeunterstützung
zu geben. Kein Wunder, dass diese Leute bestrebt waren
nach Deutschland zu kommen, wo sie hoffen durften,
ihre Pensions- und Rentenansprüche durchsetzen
zu können, oder zu Verwandten nach Übersee,
wo sie mit einem Schlag das Ende aller Nöte und
Schwierigkeiten erhofften.
Eine solche, möglichst rasche Abwanderung lag
ja auch in den Intentionen der Alliierten und der
österreichischen Regierung, wie bereits bemerkt.
Es gelang dann auch einigen, zuerst illegal, dann
legal, über die Grenze in die BRD zu kommen.
Aber die Besatzungsmächte sperrten bald die Transporte
nach Westdeutschland und nach Übersee. Erst 1952
erhielten Flüchtlinge in Österreich die
Möglichkeit der legalen Ausreise aus dem Land
und die Einreise in die deutsche Bundesrepublik. Aber
da gab es dann wieder Schwierigkeiten mit der Aufnahme,
weil inzwischen die Anmeldefrist vom 31. 12. 1952
verstrichen war. Manche gingen dann trotzdem nach
Deutschland, so Dr. Julius Krämer, Schulrat Jakob
Enders, Lehrer Rudolf Krämer u.a., und in Bundesländer,
die ihr Kontingent an Flüchtlingen noch nicht
erfüllt hatten, erreichten sie schliesslich doch
die Aufnahme.
Auch mit der Ausreise nach Übersee war es schwierig,
weil die Einreisekontingente sehr begrenzt und die
Wartezeiten sehr lange waren. Später haben dann
internationale Stelle wie UNRA und IRO dabei wesentlich
mitgeholfen. Einer, dem es z. B. 1949 gelang, mit
seiner Familie nach Australien auszuwandern, war Ernst
Schärer. 1946 aus französischer Kriegsgefangenschaft
nach Österreich entlassen, fand er in Schladming
seine mit dem Sohn geflüchtete Frau und bemühte
sich, in der Steiermark zu bleiben. Aber es stellten
sich ihm so viele Schwierigkeiten in den Weg, dass
er Österreich verliess und nach Sydney auswanderte.
Dort fand er eine neue Heimat und brachte es zu einem
gewissen Wohlstand. In der Gemeinde Aich-Assach bei
Schladming verbrachte Dr. Dr. Hans Koch im pfarramtlichen
Dienst die ersten Jahre nach dem Krieg. Er ging 1952
zum Aufbau eines Osteuropa-Institutes nach München.
Es
gab in der ersten Zeit noch andere Schwierigkeiten
und Nöte. Die Flüchtlinge bekamen keine
Lebensmittelkarten, wenn sie nicht einen Arbeitsnachweis
erbringen konnten. Beschäftigung gab es aber
nur bei Aufräumungsarbeiten nach den Fliegerangriffen,
als Bauhilfsarbeiter, in der Landwirtschaft oder bei
anderen schweren Arbeiten, und nur für solche
schweren Arbeiten die Arbeitsämter die Arbeitsbewilligung
für Flüchtlinge. Selbst Aufenthaltsbewilligungen
wurden für Flüchtlinge in den meisten Fällen
von solchen Beschäftigungen abhängig gemacht,
die zu den schwersten in der betreffenden Gegend gehörten.
So musste auch mancher von unseren Leuten längere
Zeit solche Arbeit verrichten, denen sie physisch
kaum gewachsen waren. Unseren Landsleuten aus Ostgalizien,
das unter die russische Herrschaft gekommen war, drohte
zudem die Gefahr, von den Russen in die frühere
ostgalizische Heimat zurückgeführt zu werden.
Darum lebten sie ständig in Angst. Sie musssten
sich verbergen, ihren Wohnort ändern und immer
wieder die Hilfe wohlwollender Bürgermeister
und Polizisten suchen, um der Rückführung
nach Galizien zu entgehen. Auch die Pfarrer mussten
sich oft für sei verwenden. das war oft sehr
schwierig, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, weil
auch unsere Behörden Angst vor den Russen hatten.
Da
auch die Volksdeutschen staatsbürgerlich gesehen
als Ausländer betrachten wurden, fielen sie in
arbeitsrechtlicher, sozialer und politischer Hinsicht
unter das Ausländergesetz. Kein Wunder, dass
sie sich, wenn sie sich entschlossen hatten, in Österreich
zu bleiben, nach Kräften um die Erlangung des
Heimatrechtes in Österreich bemühten. Eine
Einbürgerin en bloc kam nicht in Frage, der individuellen
Einbürgerung aber stand die ablehnende Begründung
entgegen: Überfüllung des Arbeitsmarktes
und damit Vergrösserung der Arbeitslosigkeit
im Lande für die Österreicher. Auch Furcht
vor Konkurrenz spielte bei der Ablehnung mit, da die
Volksdeutschen keine Arbeit scheuten und sehr fleissig
waren. Trotzdem schafften es die meisten unserer Landsleute
nach und nach, österreichische Staatsbürger
zu werden. Manche Mädchen und Witwen erreichten
dies schon vorher durch Heirat mit einem Österreicher.
Schwierigkeiten
für Flüchtlinge ohne österreichische
Staatsbürgerschaft auf arbeitsrechtlichem Gebiet
waren lange Zeit sehr gross. Zwar scheiterte das für
sie sehr ungünstige Inlandsarbeitergesetz am
wiederstand der Wirtschaft, der Öffentlichkeit
und der Kirchen, aber es diente doch als abgelehntes
Gesetz als Richtlinie, die auch auf die Volksdeutschen
angewendet wurde.
Die
schlechte soziale Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter
drängte die meisten Volksdeutschen in dei Städte
oder in die Industrie. Da waren die arbeitsrechtlichen
und sozialen Bedingungen günstiger und die Chance
für die Kinder besser. Am 17. Juli 1952 beschloss
der österreichische Nationalrat die Bundesgesetze
über die Gleichstellung der Volksdeutschen. Diese
Gesetze betrafen die Einstellung von Invaliden, die
Krankenpflege, die Berufsausbildung der volksdeutschen
Ärzte und Dentisten, die Ausübung des Notarberufs
und die gewerbliche Gleichstellung. Diese Gesetze
wirkten sich günstig aus und bedeuteten für
die eingebürgerten Landsleute eine gewisse Erleichterung
für ihre Existenzgründung und Sesshaftmachung
in Österreich.
1954 wurden weitere Gesetze für die Rechtsangleichung,
vor allem für die deutschsprachigen Flüchtlinge
erlassen, die von Bedeutung waren. Aufgrund eines
Abkommens mit der Bronner Bundesregierung wurden an
5500 Flüchtlinge Pensionen und Staatsrenten ausgezahlt,
die die österreichische Staatsbürgerschaft
besassen, die deutschsprachig waren und früher
einmal in einem staatlichen Dienstverhältnis
in einem der Länder der ehemaligen österreichisch-ungarischen
Monarchie gestanden hatten. Darunter waren auch einige
Galizier.
Zwischen der Bundesregierung und der österreichischen
Regierung wurde auch noch ein zweites Abkommen über
den Bezug von Sozialversicherungsrenten für deutschsprachige
Angestellte oder Arbeiter abgeschlossen. Alle, die
in der Heimat als Angestellte oder Arbeiter in einer
Sozialversicherungsinstitution ihre Prämien geleistet
hatten, bekamen Altersrenten nach der in Österreich
geltenden Gesetzen zugesprochen. Auch von diesem Abkommen
profitierten einige, vor allem altere Landsleute. Bei dieser Regelung waren aber die Bauern, die landwirtschaftlichen
Arbeiter, die zu Hause selbstständig Tätigen,
Kaufleute, Ärzte, Dentisten, Hotel- und Gaststättenbesitzer
usw. ausgenommen.
Weitere Erleichterungen betrafen die Versorgung der
Kriegswitwen und -waisen, der nicht eingebürgerten
Landsleute, die Hausratshilfe, Anrechnung von Dienstjahren
u. a. kamen nach und nach dazu. Auch die Angleichung
der Fürsorgerichtsätze der Volksdeutschen
an die der Österreicher soll hier nicht unerwähnt
bleiben.
Aufgrund
des "Umsiedler- und Vertriebenen-Entschädigungsgesetzes"
(BGBI Nr. 177/1962) in Verbindung mit dem "Anmeldegesetz"
(BGBI Nr.12/1962) bekamen manche Landsleute um die
Mitte der 60er Jahre eine Entschädigung, die
aber nur einen Bruchteil der verlorenen Habe ausmachte.
In Fällen, die mir bekannt wurden, handelte es
sich um Hausratsentschädigungen im bescheidensten
Ausmass.
Abschleissend einige Zahlen. Die Gesamtzahl der Galiziendeutschen
Flüchtlinge betrug in Österreich schätzungsweise
340-370. Davon wurden in den ersten Jahren nach dem
Krieg etwas 120 Personen in dei Bundesrepublik abtransportiert.
Bis zum 1. 9. 1953 erlangten etwa 150 bis 160 die
österreichische Staatsbürgerschaft; die
restlichen galten als staatenlos.
Zu
finden in "Neubeginn und Aufbruch" Heimatbuch
der Galiziendeutschen Teil 2 auf den Seiten 394-404
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