Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - Galizien |
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Galiziendeutsche
in Österreich von 1939-heute (1976)
Gemeinschaftsleben
der Galiziendeutschen in Österreich
Bis
1945 gab es in Wien einen Saarpfalzenverein, den Pfarrer
Arthur Berg begründet hatte. Letzter Obmann des
Vereins war nach Dr. Otto Keipper, Notar Dr. Vinzenz
Reichert. Die Mitglieder des Vereins trafen sich regelmässig.
Landsleute, die nach 1939 nach Wien kamen, fanden
hier Anschluss. Schon Monate vor Kriegsende hörten
die Zusammenkünfte auf.
Wien war in vier Besatzungszonen eingeteilt, und die
vier Besatzungsmächte, die amerikanische, englische,
französische und russische, führten abwechselnd
den Vorsitz im gemeinsamen Verwaltungsgremium der
Alliierten Komission und ihrer Kommandantur in ersten
Wiener Bezirk. Das gab jeder der Mächte die Möglichkeit,
nicht nur in der eigenen Zone zu bestimmen, sondern
darüber hinaus auch in die anderen einzugreifen.
Ein Treffen der Landsleute in den einzelnen Zonen,
und erst recht über die Zonengrenzen hinaus,
hätte bei manchen Besatzungsmächten Argwohn
erregt und Gefahren für alle Landsleute heraufbeschworen.
Hatten doch eine ganze Reihe der Galiziendeutschen
keine österreichische Staatsbürgerschaft
und stammten noch dazu aus dem Osten Galiziens, der
an die UdSSR gefallen war. Die Russen wollten, wie
bereits erwähnt, alle Flüchtlinge aus ihren
Gebieten repatriieren, ganz gleich, ob es sich um
Polen, Ukrainer oder Deutsche handelte. Diese Angst,
wieder in die alte Heimat zurückgebracht zu werden,
hatten die anderen volksdeutschen Flüchtlinge
nicht. Die grösseren Gruppen unter ihnen schlossen
sich darum schon bald nach Kriegsende landsmannschaftlicht
zusammen und schufen sich ihre eigenen Wohlfahrtsorganisationen.
Die Mittel dazu beschafften sie sich auf dem Wege
der Freiwilligkeit. Gerade in den zehn schwersten
Jahren, wo der landsmannschaftliche Zusammenschluss
und Zusammenhalt der Galiziendeutschen besonders nötig
gewesen wäre, um einander möglichst viel
zu helfen, war das für unsere Landsleute nicht
möglich. Das hinderte aber manche nicht, sich
in kleinen Gruppen zu treffen, einander und anderen
beizustehen, etwa bei der Arbeitssuche, bei der Suche
nach Vermissten, dem Austausch von Informationen u.
ä. Als solche Kontaktpersonen, die sich nach
Möglichkeit um Verbindungen und Fühlungnahme
unter den Landsleuten besonders bemühten, fungierten
vor allem die Pfarrer. Da wären die Namen Berg,
Bisanz, Bolek, Gruber, Leibfritz, Wolfer besonders
zu nennen.
Erst
1955 änderte sich die Situation.
Der Abschluss des Staatsvertrages und der Abzug der
Besatzungsmächte ermöglichte wieder vereinsmässige
Aktivitäten. Diese neue Situation nützte
ich gleich, um eine Zusammenkunft der Landsleute zu
arrangieren. Ich hatte alle Adresse aus der Zeit von
1945, die natürlich nur noch teilweise stimmten,
und auch eine ganze Reihe von Anschriften der Flüchtlinge,
die ich in der Zwischenzeit gesammelt hatte. So lud
ich bei der ersten sich bietenden Möglichkeit
die Landsleute zum ersten Treffen nach dem Kriege
ein. Das Gustav-Adolf-Fest des Hauptvereines in Österreich,
das vom 15. bis 18. September 1955 in meiner Gemeinde
in Wien stattfand, führte auch Galiziendeutsche
aus weiterer Ferne nach Wien, aus Oberösterreich,
Tirol, ja auch aus Westdeutschland; ein Teilnehmer
kam sogar aus der Deutschen Demokratischen Republik.
Es erschienen damals über 90 Landsleute, darunter
auch Prälat Lic. Wilfried Lempp aus Heilbronn
a. N., der Schwiegersohn und langjährige Mitarbeiter
von Superintendenten D. Zöckler und Festprediger
bei diesem Gustav-Adolf-Fest, und Pfarrer Dr. Fritz
Seefeldt, ehemaliger Pfarrer von Dornfeld, Begründer
der dortigen Volksschule. Das Treffen brachte allen
Teilnehmern reichen Gewinn. Die Gäste aus Deutschland
und der DDR. Prälat Lempp sprach in seinem Vortrag
"Was verdanke ich Galizien" besonders über
das Wirken von Theodor Zöcklers in Stanislau
(das Treffen fand genau am 6. Todestag Zöcklers
statt), und uns allen wurde bewusst, dass auch wir
unserer alten Heimat viel zu verdanken haben.
Bei diesem Treffen wurde allen auch klar, wie nötig
und von allen erwünscht ein eigener Kontakt unter
den Landsleuten in Österreich wäre. Es wurde
beschlossen, von da ab jeden Montag zusammenzukommen.
Die Gründung eines Vereines wurde abgelehnt,
ebenso auch der Vorschlag, uns an die Landsmannschaft
der Bielitzer, Bialaer und Teschener oder eine andere
Landsmannschaft anzuschliessen. So wurde die Form
einer "Tischgesellschaft" gewählt,
und dabei blieb es bis heute. Die ersten Monate nach
1955 kamen in den allmonatlichen Versammlungen regelmässig
60 - 80 Landsleute zusammen. Als wir den günstig
gelegenen Versammlungsraum im ersten Bezirk verloren
und keinen entsprechenden neuen finden konnten, mussten
die Zusammenkünfte eine Zeitlang ausfallen. Am
7. März 1967 aber konnten wir uns wieder treffen,
und zwar im neugebauten Gemeindesaal meiner Gemeinde.
Wir trafen uns von da an vier- bis fünfmal im
Jahr: zum Advent, im Fasching, am Muttertag, zu einem
Ausflug vor den Ferien und evt. noch einmal im Herbst.
Vorträge und Berichte, Lichtbildvorträge
(von denen die von Ing. Eduard Czerny und Dr. Dr.
Franz Fischer besonders erwähnt seien), gemütliche
Unterhaltung und die Pflege des Volksliedes gaben
dem Treffen ihren Inhalt. Der Versammlungsraum ist
günstig gelegen und leicht erreichbar.
Nachdem ich zu meinen bisherigen Verpflichtungen auch
noch die eines a. o. geistlichen Oberkirchenrates
dazubekommen habe, kann ich aus Zeitmangel nur noch
zweimal jährlich einladen, und auch bei dieser
Gelegenheit übernimmt Pfarrer Berg manchmal die
Leitung. Frau Dr. Martha Lercher schickt die Einladungen
aus, Frau Henny Bohac, geb. Sander, sorgte für
das leibliche Wohl, ihr Mann Viktor ist Kassier. Zu
diesem Treffen kommen 30-50 Landsleute. Hier muss
noch erwähnt werden, dass das Organ des Hilfskomitees
der Galiziendeutschen "Das heilige Band"
und der "Zeitweiser", die in Stuttgard erscheinen,
auch von Landsleuten aus Österreich bezogen und
gelesen werden und von nicht zu unterschätzender
Bedeutung für den Zusammenhalt der Galiziendeutschen
in Österreich und ihre Verbindung zu den Landsleuten
in aller Welt sind. An den Galiziertreffen in Deutschland
nehmen auch die Landsleute aus Österreich teil,
Pfarrer aus Österreich wurden schon mehrmals
zu Festpredigten eingeladen, so Hofrat Dr. Dr. Franz
Fischer, Pfarrer Siegfried Gruber, Pfarrer Berg, Oberkirchenrat
Jakob Wolfer. Bei unseren Treffen in Wien oder in
kleineren Kreisen auch anderswo berichten wir über
unsere Erlebnisse. So wurde bei unserem letzten Treffen
das ergreifende Epos unseres Volkssplitters, "Das
alte Lied" von Jakob Enders, vorgetragen und
manches von dem letzten Galizientreffen in der BRD
berichtet.
Zu
finden in "Neubeginn und Aufbruch" Heimatbuch
der Galiziendeutschen Teil 2 auf den Seiten 394-404
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