Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - |
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Kurzgeschichten |
Kurzgeschichten
Um möglichst
rasch wieder k.u. (kriegsverwendungsfähig) zu werden,
schickte mich der Truppenarzt zur Operation. Mein Leistenbruch
sollte behoben werden. (Anm. nach dem Unfall vor Stalingrad)
Da ich gesundheitlich noch immer stark angeschlagen war und
ich zu früh zur Operation beföhlen wurde, stellten
sich nachher bald gefährliche Komplikationen ein. Ein
Beispiel soll das aufzeigen, das ich im Heft "Besondere
Weihnachten" im letzten Kapitel "Weihnachten im
Lazarett" geschildert habe.
Weihnachten
Im Lazarett (w)
Über
die Lazarette in Lemberg, Krakau und Bad Berka, landete ich
nach fast einem halben Jahr in einem Wiener Reservelazarett.
Beim Sturm auf die Stalin-Linie war eine Granate neben der
Strasse krepiert, ein Kraftradfahrer war über mich hinweggefahren
und ich blieb mit einer Gehirnerschütterung und Knochenbrüchen
elf Stunden bewusstlos liegen. Auf dem Weg in ein Heimlazarett
gesellte sich noch eine Lungen- und Rippenfellentzündung
dazu. Und als das alles vorbeiwar, wartete eine Leistenbruchoperation
auf mich.
Kaum war
die vorbei, stellte sich eine schwere Venenentzündung
mit Embolien ein. Die Beine schwollen auf das Doppelte ihres
vorherigen Umfanges an, den Kreislauf konnten die Ärzte
kaum aufrecht erhalten, Herz und Lunge streikten, auf dem
Rücken bildeten sich zahlreiche Geschwüre, und da
ich nur auf dem Rücken liegen und mich nicht im geringsten
bewegen konnte und durfte, erschien es mir als wäre das
Bett ein feuriger Rost. So lag ich, schon abgesondert von
den anderen und aufgegeben, im Sterbekammerl, von dem mir
eine als Hilfsschwester eingesetzte Arbeitsmaid gesagt hatte:
"Ihre Vorgänger sind hier alle gestorben".
So kam
Weihnachten 1941 heran. Ich war so schwach, dass ich kaum
das Vaterunser beten konnte. Ich kam über den Anfang
und die ersten Bitten nicht hinaus, dann verwirrten sich meine
Sinne, ich wusste nicht weiter.
Dreizehn Tage und Nächte hatte ich keine Minute geschlafen,
die Beruhigungsmittel versagen ganz, ja bewirkten nur das
Gegenteil Vor allem schärften sie mein Gehör in
unglaublicher Weise. Ich hörte, was anderen unmöglich
schien. Und was die anderen kaum hörten, grellte schmerzhaft
in meinen Ohren.
Die Rudolfinerinnen,
die im Lazarett aufopfernd pflegten, bemühten sich am
heiligen Abend nach Kräften, den Verwundeten etwas vom
christlichen Weihnachtsfest zu bieten. Von 16 Uhr an zogen
sie von einem Lazarettsaal zum anderen, sangen christliche
Weihnachtslieder, entzündeten Lichter am Baum, und die
Oberin ging von Bett zu Bett und wünschte jedem Soldaten
ein gesegnetes Weihnachtsfest. Als sie an meinem Sterbekammerl
vorbeikamen, sagte die Stationsschwester: "Da dürfen
wir nicht hinein, dem geht es heute besonders schlecht".
Und sie gingen vorbei. Das alles hörte ich mit meinen
überschärften Sinnen. Und ich war froh darüber,
dass sie nicht kamen, denn der Gesang dröhnte mir auch
noch zwei Säle weiter in den Ohren.
Die Telleruhr
in meinem Zimmer schien stehengeblieben zu sein. Sie tickte
zwar überlaut, aber die Zeiger bewegten sich nicht. Oder
doch? Es war schrecklich, wie langsam sie dahinschlichen.
Nur das Herz pochte viel zu rasch, um dann plötzlich
fast ganz auszusetzen, die Unruhe im Körper machte jeden
Nerv kribbelig, die Atemnot weckte einen Angstschauer nach
dem anderen, der Rücken brannte wie von glühenden
Kohlen, die hochgelagerten Beine, an die vorher schon zum
dritten Mal acht Blutegel angesetzt worden waren und die seit
zehn Stunden aus den Bisswunden noch immer nachbluteten, waren
wie zwei Marterwerkzeuge finsterster Inquisition.
So lag ich Ewigkeiten, die nur unterbrochen wurden durch Injektionen,
Tabletten, Trinken. Ja, auch die Beine wurden versorgt, gleichfalls
zwischen zwei Ewigkeiten. Und dann waren an der Telleruhr
an der Wand vier Stunden vergangen.
Es war
ein stiller Abend, denn wer irgendwie aus dem Lazarett weg
konnte, hatte die Möglichkeit genutzt. Da nahten bekannte
Schritte, eine vertraute Stimme redete leise mit der Nachtschwester
und - schon kam meine Frau ins Zimmer gehuscht, blickte ängstlich
in meine Ecke, beugte sich über mich und lauschte, ob
ich denn noch atme. Als sie bei dem schwachen Nachtlicht sah,
dass ich meine Augen offen und sie erkannt hatte, hauchte
sie mir einen Kuss auf die Stirne, legte ab, packte resolut,
wie es ihre Arte ist, ein winzig kleines Christbäumchen
aus einer Tasche aus, zündete die kaum zündholzdicken
Kerzen an, stellte ein eingerahmtes Photo-Bild unseres zweijährigen
Töchterchens daneben, alles so auf das Nachtkästchen,
dass ich es mühelos sehen konnte. Und dann sang sie mir
mit leiser Stimme ein Weihnachtslied, wünschte mir ein
gesegnetes Fest, erzählte wie sie mit unserem Töchterchen
und den Eltern den heiligen Abend begangen hatte, und als
die Kerzen runtergebrannt waren und ich vor Müdigkeit
kaum mehr folgen konnte, sang sie mit leiser Stimme, wie Mutter
ihre kleinen Kinder in den Schlaf singen, noch einige Weihnachtslieder.
Ich weiss
nicht, was meine Frau sang, oder was es war, das mich besonders
berührte. Ich weiss auch nicht wann ich einschlief und
wann der Umschwung begann, ob es noch am Abend war, oder irgendwann
in der Nacht, dass es mit meinem Zustand besser wurde. Ich
wiess nur, dass die grosse Unruhe nachliess, dass die Schmerzen
geringer wurden, dass die Angstgefühle schwanden, dass
die Marterwelkzeuge zu quälen aufhörten, dass die
glühenden Kohlen unter dem Rücken erloschen, die
Hellhörigkeit langsam verging, dass der langvermisste
Schlaf kam. Ich kann nicht sagen, wie rasch oder wie langsam
das alles kam. Noch weniger kann ich glaubwürdig schildern,
was dazu geführt hat. Ich weiss nur, dass ich irgendwann
an diesem Abend oder in der Nacht mir sehr klar sagte: Auch
für mich ist heute Heiliger Abend, auch für mich
ist Christus gekommen.
Für
einen Pfarrer war und ist das wirklich keine grossartige Entdeckung.
Und die Theologen, die alles theologisch nehmen, beurteilen
und kritisieren, mögen vielleicht die Nase darüber
rümpfen, dass ein Pfarrer, der ja auch Theologie studiert
hat, so schlicht, wenn nicht gar primitiv vom Heiligen Abend
denken kann. Aber was ich da gedacht und erkannt und für
mich zum Trost gesagt habe, das hat ein armes gequältes
Menschenkind sich am Heiligen Abend mit allem Ernst vor Augen
halten dürfen.
So ist der Herr Christus zu Weihnachten 1941 auch zu mir gekommen.
Quelle:
"Besondere Weihnachten" von Jakob Wolfer 19
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