Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - |
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Kurzgeschichten |
Kurzgeschichten
Gott erhört Gebet (w)
Nach dem
Zweiten Weltkrieg hatte ich durch fünf Jahre hindurch
die Seelsorge im Diakonissenkrankenhaus in Wien. Jeden Mittwoch
Nachmittag besuchte ich die Kranken, am Samstag Abend hielt
ich die Wochenschlussandacht und zweimal im Monat ging ich
zu den Alten in die Schoppenhauerstrasse Nr. 18, ab und zu
hielt ich den Diakonissen eine Bibelstunde oder einen Vortrag.
Es waren gesegnete Stunden, für mich vielleicht mehr,
als für dei anderen.
Eines
Tages besuchte ich eine Kranke im Zimmer 12a. Selbst in diesem
evangelischen Krankenhaus darf es kein Zimmer 13 geben. Aber
nicht der Schwestern und des Pflegepersonals wegen, sondern
nur der abergläubischen Patienten wegen.
Was diese Frau an Schwerem aus ihren Leben erzählte,
schien mir mehr zu sein , als ein Mensch ertragen kann und
Gott ihm billigerweise auferlegen dürfe. Ich berichte
es nur im Telegrammstil:
Sieben Kinder, der Mann kam krank aus dem ersten Weltkrieg
heim und siechte dahin, die Frau erhielt als Wäscherin
die ganze Familie. Im Polenfeldzug verlor ihr ältester
Sohn Arm und Bein und war auf ihre Betreuung angewiesen, auch
ein Schwiegersohn wurde in diesem Krieg sehr schwer verletzt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde sie zwei Mal ausgebombt und hatte
wirklich alles verloren. Der jüngste Sohn war seit vielen
Monaten vermisst. Sie selbst hatte ein, was man so nennt "Raucherbein"
bekommen, obzwar sie nie geraucht hatte, und im Diakonissenkrankenhaus
musste ihr das Bein bis zum Knie abgenommen werden. Der Stumpf
wollte nicht heilen, weil sie zuckerkrank war. Als dann auch
der zweite Fuss anfing, sich zu verfärben, wollten ihn
die Ärzte nicht mehr amputieren, weil der Fall hoffnungslos
schien.
Was soll
man als Pfarrer einer solchen Frau sagen? Wie kann man sie
trösten? Kann man da überhaupt etwas sagen, ohne
nicht unglaubwürdig zu wirken?
Ich war hilflos wie ein kleines Kind.
Mühsam brachte ich hervor: "Ich kann hier nichts
sagen, ich weiss nicht, wie ich sie trösten könnte,
aber beten kann ich mit ihnen.“ Und dann beteten wir
zusammen. Ich breitete die ganze Not der Frau vor unserem
himmlischen Vater aus. Besonders bat ich Gott um Gewissheit
über das Schicksal des jüngsten Sohnes, weil die
Mutter unter der Ungewissheit besonders schwer litt. Als wir
zusammen das Vaterunser beteten, setzten auch die fünf
anderen Patientinnen mit ein, tief bewegt, wie ich jetzt erst
merkte.
Ganz bedrückt
verliess ich das Krankenhaus. Ich muss gestehen, dass mein
Vertrauen auf dei Macht des Gebetes recht gering war. Am nächsten
Mittwoch wollte ich an Zimmer 12a, wo nur die eine Frau evangelisch
war, einfach vorübergehen. Was sollte ich, Hilfloser,
ihr sagen? Wie sie trösten?
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich sogar schon
vorbei war, dann aber doch umkehrte. "So feig darfst
Du nicht sein!" Schalt ich mich, und öffnete die
Türe zu dem bewussten Krankenzimmer; wirklich nicht forsch,
sondern ziemlich bedrückt. Aber schon im nächsten
Augenblick schloss ich sie wieder ganz erschrocken, denn die
Frau, um die es ging schrie bei meinem Anblick ganz laut auf,
und rief immer wieder: "Herr Pfarrer! Herr Pfarrer!"
Ich dachte, sie hätte den Verstand verloren. Die vorbeikommende
Stationsschwester aber drängte mich wieder hinein und
sagte: "Sie wartet schon die ganze Zeit auf Sie!"
Vorsichtig öffnetet ich wieder die Türe einen Spalt
und blieb stehen. Zwischen Tür und Angel hörte ich
dann: " Herr Pfarrer! Herr Pfarrer! Gott hat unser Geber
erhört!" und erfuhr weiter, dass die Frau am Freitag
der vergangenen Woche eine Karte von ihrem jüngsten Sohn
aus der Gefangenschaft erhalten hatte mit dem üblichen
Vordruck: "ich bin im Gefangenenlager ..... mir geht
es ....." In der ersten Rubrik stand der Name des Ortes,
in der zweiten natürlich "gut", denn sonst
wäre die Karte bestimmt nicht aus dem Lager herausgekommen.
Sie war ohnehin viele Monate unterwegs gewesen.
Am nächsten Tag war dann ein Brief jüngeren Datums
gekommen, in dem der Sohn die Hoffnung aussprach, bald nach
Hause kommen zu können.
Die Mutter
war überglücklich und ich mit ihr. Wie haben wir
Gott da gedankt! Und die übrigen Patientinnen im Saal
mit uns. Ich habe die Frau noch öfters besucht und dabei
noch mehr von Gottes Barmherzigkeit erfahren, die er weiter
an ihr tat. Ich weiss gar nicht, ob ich das Erlebnis noch
weiter berichten soll, weil es unglaubwürdig klingt.
Aber es ist doch wahr!
Der amputierte
Beinstumpf verheilte, die Verfärbung des anderen Beines
ging zurück und die Frau wurde als geheilt entlassen,
womit keiner mehr gerechnet hatte.
Als ich mit einem Arzt darüber sprach, meinte er, "Das
ist durchaus möglich, dass die grosse Freude einen günstigen
Einfluss auf dei Zuckerkrankheit, Durchblutungsstörungen
und Heilung der Amputationswunde ausgeübt hat."
Davon
bin ich auch überzeugt, aber ich weiss doch noch etwas
mehr:
Gott hat hier ein Gebet herrlich erhört.
Quelle:
"Er tut grosse Dinge" aus dem Kalender "Glaube
und Heimat" von Jakob Wolfer 1972
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