Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - |
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Kurzgeschichten |
Kurzgeschichten
Der
Herr wird dir´s vergelten
Das Ende des Zeiten Weltkrieges erlebte ich in Vorarlberg,
wohin mich Bischof D. May geschickt hatte. Ich sollte dem
erkrankten Bregenzer Pfarrer Pommer helfen.
Die ganze
Gegend war überfüllt von Flüchtlingen aus allen
Teilen des zusammengebrochenen Deutschen Reiches. Ich hatte
den ganzen Aussendienst und die Predigtstellen Dornbirn, Hohenems
und Lustenau zu versehen, wohnte aber mit meiner Frau und
unserem sechsjährigen Töchterlein in Koblach, weil
wir sonst keine andere Unterkunft gefunden hatten, in einem
Zimmer ohne Möbel. Wir schliefen auf Strohsäcken
und hatten eine Kiste als Tisch und Kasten für unser
Geschirr, die Esswaren und andere Kleinigkeiten. Sogar Schuhputzzeug
war darin untergebracht. Sitzen konnten wir auf zwei kleinen
Kisten. Wir waren mehr als zufrieden, als wir dieses Quartier
gefunden hatten.
Eines
Tages, Anfang Juni 1945, es war an einem Samstagnachmittag,
an dem ich Religionsunterricht und Sprechstunde in Dornbirn
hatte, besuchte mich ein Flüchtling, ein Professor aus
Graz. Auf den ersten Blick erkannte ich, der Mann hat Hungerödeme.
So aufgedunsene Hände und aufgedunsene Gesichter sah
man damals öfter. Wo immer ich mit solchen Menschen in
Berührung kam, baten sie mich nur um Nahrungsmittel.
Und dabei war ich selber ganz fremd in dieser Gegend, erst
seit einigen Wochen dort, ohne jede Vorräte und Verbindungen.
Ich versuchte zwar, immer wieder zu helfen, aber meine Möglichkeiten
waren sehr beschränkt. Nur zu oft konnte ich überhaupt
nichts machen.
Der Professor
aus Graz aber rührte mich besonders stark. Er war so
vornehm zurückhaltend, kannte meine Situation, bat um
nichts, war aber so schwach, dass ich ihm ein Glas Wasser
reichen musste. Ich konnte nichts tun, bat ihn aber am Sonntag
vor dem Gottesdienst in die Sakristei der Kirche zu kommen.
Ich fühlte mit aller Deutlichkeit, dem Mann musst Du
helfen, aber wie?
Zeit um
etwas aufzutreiben hatte ich nicht. Ich musste nach Hause
und den einzigen Zug von Dornbirn nach Koblach durfte ich
nicht versäumen. Dafür aber musste ich lange auf
ihn warten. Bis ich nach Hause kam, war es Abend. Am nächsten
Tag hatte ich in Dornbirn zu predigen, und musste mich noch
auf den Gottesdienst vorbereiten. Es wurde Sonntag früh,
wir mussten zum Zug, auch meine Frau, denn sie spielte die
Orgel in Dornbirn. Und ich hatte noch immer nichts für
den bestellten Professor. Mit dem Mut der Verzweiflung, sagte
ich im letzten Moment zu meiner Frau. "Ich muss für
den Mann etwas mitnehmen. Was haben wir an Vorräten?"
Meine Frau sah mich entgeistert an und öffnete die schon
geschilderte Kiste. Da lag fast ein halber Laib Brot, vier
Eier, getrocknete Birnen und Apfelschnitten vom Vorjahr, eine
noch ergiebige Käserinde, ein Säckchen Türkenmehl
(Maismehl) und eine Literflasche mit Milch.
"Wir nehmen die Hälfte von allem mit", sagte
ich entschlossen und sicher zu meiner Frau, "pack schnell
ein, denn sonst kommen wir zu spät zum Zug!"
Wer die
Hungerszeit damals erlebt hat, kann ermessen, was ich damit
meiner Frau zumutete. Ich spürte ihren entsetzten Blick
auf meinem Rücken brennen, wagte aber nicht, mich umzudrehen
und ihr in die Augen zu schauen. Mit einem raschen und verstohlenen
Blick sah ich, wie meine Frau ihren Kopf schüttelte,
auf unser Töchterchen sah und, als ich grob wurde, um
meine Unsicherheit damit zu verbergen, wortlos die Hälfte
von allem nahm, sogar von der Milch.
Unterwegs redeten wir kein Wort und schauten aneinander vorbei.
Mir war ja selbst nicht ganz wohl dabei. Ich fragte mich,
ob ich denn das Recht habe, von diesem Wenigen meiner Familie
noch etwas wegzunehmen. Es war völlig unsicher, ob ich
an diesem oder nächsten Tag oder übernächsten
etwas auftreiben, ob meine Frau wird etwas kaufen können.
Bei dem
netten, lieben Rundkirchlein in Dornbirn angelangt, trennten
wir uns wortlos, meine Frau ging mit dem Kind auf die Orgel,
ich in die Sakristei, wo mein bestellter Professor auf mich
wartete.
Als ich den Mann sah, waren alle Zweifel weg. Ich spürte,
dass ich richtig gehandelt hatte. Das gab mir auch die rechte
Freudigkeit zur Predigt. Wenn man bedrückt ist, ist es
sehr schwer zu predigen, zum mindesten für mich. Damals
aber viel es mir nicht schwer.
Der Gottesdienst
war zu Ende, ich hatte mich von allen verabschiedet und ging
in die Sakristei, um mich umzuziehen. Da sass meine Frau und
schaute so komisch, dass ich ihr Verhalten gar nicht begreifen
konnte. Da deutete sie mit den Augen auf den Tisch, auf dem
eine grosse Schachtel stand. Neugierig geworden, hob ich den
Deckel auf und dann schaute ich auch komisch und konnte das
alles nicht begreifen. Denn in der Schachtel war ein Laib
Brot, ein ganzes Radel Käse, sechs Eier, Mehl und Zucker,
lauter Herrlichkeiten und Kostbarkeiten.
Was war da geschehen?
Vor dem Gottesdienst, während ich dem Professor mein
armseliges Päckchen überreichte, übergab eine
Schwester - ob es eine Diakonisse oder Krankenschwester oder
eine andere Schwester war, haben wir nachher nicht feststellen
können - meiner Frau auf der Orgel das Paket mit den
herrlichen Sachen, ohne, dass meine Frau sich dafür richtig
bedanken konnte, weil sie Orgel spielen musste.
Und nachher war die Spenderin verschwunden. Wir haben sie
nie mehr gesehen.
Vielleicht war es ein Engel vom Himmel.
Quelle:
"Er tut grosse Dinge" aus dem Kalender "Glaube
und Heimat" von Jakob Wolfer 197
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