Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - Galizien |
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Kurzgeschichten aus Galizien von Pfarrer Jakob Wolfer
Wie
ein Märchen klingt´s
Es war
einmal ein Dorf, das hiess Hartfeld. Es lag in der Nähe
einer grossen Stadt. Sie hatte aber keinen Einfluss auf das
Dorf, trotzdem sie die Provinzhauptstadt war.
In Hartfeld wohnten 300 deutsche evangelische Menschen, Arme
und kaum Reiche, viele Junge und wenig Alte, denn der schwere
Lebenskampf raffte sie bald dahin. Rinsum, um ihr Dorf und
sogar um ihre Höfe, lebten Fremde: Ukrainer, Polen und
Juden.
Vor sechs Generationen waren ihre Vorfahren ins Land gekommen.
Ein weiser Kaiser rief sie aus der Pfalz, aus Schwaben und
anderen Gebieten Westdeutschlands. Galizien wurde ihre neue
Heimat. 50 Familien kamen in die Nähe von Lemberg. Als
sie das Feld besahen und prüften, das ihnen zugewiesen
worden war und das sie ernähren sollte, war es hart.
Da nannten sie ihre neue Heimat Hartfeld.
Andere
Einwanderer nannten ihre Ansiedlungen Dornfeld, Steinfeld
oder übernahmen einfach die slawischen der Nachbarortschaften. Die Polen, die sich als Herren des Landes fühlten, obwohl
die Ukrainer es als ihre Heimat ansahen, nannten die Kolonisten
Schwaben und machten aus dem Namen ein Schimpfwort.
die Hartfelder beachteten das kaum, denn sie hatten wichtigeres
zu tun. Die Alten, die Kinder und Kindeskinder mussten schwer
arbeiten, wenn sie überleben wollten. Der Boden war hart
und verlangte viel Schweiss. Trotzdem kamen sie vorwärts. Von ihnen lernten die Polen und Ukrainer, die ringsherum lebten.
Sie lernten das Feld zu düngen und besser zu bebauen,
Obstbäume zu pflanzen und Gemüse anzubauen, rechtes
Vieh zu züchten und Handwerk zu betreiben. Im Handel
aber waren die Juden unübertroffen.
Lehrmeister ernten meist wenig Dank. So auch hier. Die Schüler
hätten sie am liebsten aufgesogen und verschlungen. Doch
die Hartfelder bleiben ihren Glauben und Volkstum treu. Sie blieben auch standhaft, als nach dem Ersten Weltkrieg
Galizien an Polen fiel und es wieder Kleinpolen genannt wurde. Viele deutsche, katholische Kolonisten, die dem Ruf des weisen
Kaisers Joseph II. gefolgt waren, wurden im laufe der Jahrzehnte
schwach und gaben dem politischen Druck nach. Polnisch-katholische
Priester, die grossen Eiferer für ihr Volkstum, wurden
ihnen zu Führern. Nicht nur des Glaubens, sondern auch
des Polentums.
Hartfeld
aber war evangelisch und blieb treu. Es folgte nicht den Verlockungen.
Die Menschen hielten fest an Sprache und Volkstum, an Sitte
und Brauch. Sie wurden darin von ihrer Kirche gestärkt
und geführt. Denn Sprache und Volkstum sind Gaben Gottes,
Sitte und Brauchtum aber sind daraus erwachsen. Die Polen
lockten und drohten. Es war nicht leicht treu zu bleiben.
Wenn es ganz schwer wurde, warteten die Hartfelder, wie die
anderen Deutschen im Lande, auf ein Wunder. Die Sehnsucht
danach war bisweilen sehr stark und trübte die Schärfe
des Blickes. Sie gaukelten ihnen phantastische Bilder vor,
abhold jeder Wirklichkeit. Und dann war es da, was viele als das grosse Wunder ansahen.
Mitten aus den Nachkriegswirren, Zusammenbrüchen, mitten
im Winter 1939/40 kehrten die Hartfelder mit den anderen Schicksalsgenossen
heim ins Reich.
Das Wunder
erwies sich aber bald als die grosse Tragödie. Nicht
weil die Heimkehr in Forst und Kälte erfolgte und viele
das Leben kostete. Auch nicht deshalb, weil der Neuanfang
sehr bitter war. Aber deshalb, weil die Heimkehr ins Reich
eine Ansiedlung im frisch eroberten Land war. Eine Ansiedlung
auf Höfen, deren Besitzer vertrieben worden waren. Nachts
umschlichen sie bisweilen ihre Häuser und erbettelten
Kleinigkeiten aus ihrem ehemaligen Besitz, den sie hatten
zurücklassen müssen, persönliche Andenken,
Bilder, Kindersachen. Oder sie holten sich was die neuen Besitzer
nicht gebrauchen konnten und auf den Mist geworfen hatten. Das Brot der neuen Heimat schmeckte den Hartfeldern bitter.
Der neue Besitz, den sie für ihr voriges Eigentum bekommen
hatten, bedrückte viele. Dann brach der Tragödie
letzter Akt an. Die Kriegsfurie fegte alle Angesiedelten wieder
weg. Über Nacht. Viele kamen auf der Flucht um, viele
wurden verschleppt, viele sind verschollen. Niemand weiss,
wo ihre Gebeine ruhen und wo sie der Auferstehung entgegenschlafen.
Die sich retten konnten, sind zerstreut. Über weite Landstriche,
über Länder und Meere. Die Jungen wollen von Hartfeld
nichts mehr wissen, die Alten träumen noch oft davon.
Sie reden miteinander von längst vergangenen Zeiten,
von ihren Feldern und Wiesen, ihren Häusern und Höfen.
Sie haben ein Hartfeld vor Augen, das nicht mehr besteht.
Die Asche vieler Höfe hat der Wind längst verweht.
Die Kirche wurde zum Getreidespeicher, Verstummt sind die
frommen Lieder und Gebete. Über den Friedhof zieht ein
weidendes Vieh. Vereinzelte Aufschriften auf umgeworfenen
Steinen künden von Geschlechterreihen, die hier ausruhen
nach vollbrachtem Tagewerk. Sie haben die Ruhe verdient nach
allen ihren Mühen. Gott schenke ihnen den ewigen Frieden!
Zu
finden im "Zeitweiser der Galiziendeutschen" 1971
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