Oberkirchenrat Prof. Mag. Johann Jakob Wolfer - Galizien |
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Erinnerungen an meine Heimat Galizien
Erinnerungen
an Superintendent Dr. Theodor Zöckler

Aus
dem Leben und Wirken D. Theodor Zöckler's
Oberkirchenrat Prof. Mag. Jakob Wolfer, Wien
Es
geht hier um ein Glaubenszeugen, der schon früh
in seinem Leben schwerhörig wurde und dann ganz
ertaubt war und durch den Gott doch unglaublich Großes
gewirkt hat.

D.Theodor
Zöckler nimmt in Feschicht der evangelischen
Kirche in Österreich und Polen einen besonderen
Platz ein. Fast ein halbes Jahrhundert - genau von 1891
bis 1939 - wirkte er in Stanislau, einer kleinen Stadt
im Osten Galiziens, das bis 1918 zu Österreich
gehörte, dann an Polen fiel und in seinem östlichen
Teil seit dem 2.Weltkrieg zu Rußland gehört.
Dort also wirkte Zöckler als Mann der Mission,
der Judenmission und der Inneren Mission, der Jirche
und Ökumene, des Schulwesens und der verschiedenen
Hilfsaktionen und vor allem als Mann des Glaubens und
es Gebetes. So gehörte Zöckler vor 1918 zu
den überragenden Persönlichkeitender evangelischen
Kirche in Österreich uund nachher zu den führenden
Männern der evangelischen Kirche im neu entstandenen
Polen.

Sein Leben und Werk standen offenkundig unter der besonderen
Führung Gottes. Er war für die Evangelischen
genau so wie für die römischen Katholiken,
für die Orthodoxen genau so wie für die Juden,
für Deutsche genau so wie für die Polen, Ukrainer
und Juden diesesLandes ein überzeugendes Beispiel
der Nachfolge Christi. Seine Schwerhörigkeit und
spätere Taubheit waren wohl eine große Last,
die Gott ihm auferlegt hat, aber sie waren in gewisser
Beziehung zugleich auch ein Segen und eine Hilfe in
seinem Wirken. Der Lärm der Straße erreichte
ihn nicht und das Unwesentliche und Nichtssagende drang
nicht zu ihm und raubte ihm nicht unnötIge Mühe,
Kraft und Zeit. Dafür konnte er Wichtigeres wirken.

Zöckler
hatte manches mit Albert Schweitzer gemeinsam. Wie der
"Urwald-Doktor" von Lambarene war er hoch
begabt, und hatte glänzende Berufsaussichten in
Deutschland. Aber der Sohn eines Theologieprofessors
in Greifswald ging als Judenmissionar in das "Land
der Bären und Wölfe", wie Galizien damals
genannt wurde. In einem Völker- und Rellgionsgemisch
von vier Millionen Polen,drei Millionen Ukrainer und
einer Million Juden lebte eine kleine deutsche Minderheit
von einigen Zehntausend, die Joseph II. zur kulturellen
Hebung des Landes nach Galizien gerufen hatte. Sie hatten
ihren Auftrag erfüllt, waren darüber aber
selber in verschiedene Nöte geraten.
1891 kam Zöckler nach Stanislau, das mit seinen 35.000
Einwohnern zur Hälfte jüdisch war, und lernte
da gleich die Not der 300 zerstreuten evangelischen
Deutschen kennen. Ihrer nahm er sich an, wurde ihr erster
und letzter Pfarrer und machte Stanislau zum Zentrum
der evangelischen Kirche in Galizien mit einer blühenden
Gemeinde von 1.800 Seelen.

1896 gründete Zöckler, wobei die Erbschaft seiner
Frau mithalf, ein Kinderheim mit zwölf Kindern,
aber bald waren es 100 und mehr und
zum Schluß zählte die Anstalt über 500
Insassen, Kleinkinder, Schüler und Lehrlinge, Mittellose
und Zahlende, Alte und Kranke,
Krüppel und Schwaehsinnige. Stanislau wurde zum
"Bethel des Ostens" und Zöckler zum "Bödelschwingh"
des Ostens. Zöcklers Werk,war nicht so groß
wie das Bodelschwinghs, aber Zöckler hatte es bedeutend
schwerer. Er wurde nicht getragen vom kirchlichen Sinn
und der christlichen Opferbereitschaft seines Landes;
wie es das Minden-Ravensberger Land war, er hatte nicht
den Zugang zu den Einflußreichen dieser Welt,
wie Bodelschwingh, der Spielgefährte königlicher
Prinzen, ihm kam nicht der glänzende wirtschaftliche
Aufstieg, den das Industriegebiet Westdeutschlands in
der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts zur Hilfe
nahm. Das Geheimnis seines Wirkens war sein Glaube und
die Opferlereitschaft. In großer Armut und unter
großen Schwierigkeiten entstanden die Anstalten
und unter diesen Zeichen standen sie bis zuletzt. Eines
der Lieblingsworte Zöcklers war: "Schwierigkeiten
sind Herrlichkeiten".

Zöckler war der einzige in der Geschichte der evangelischen
Diakonie, der durch seine, Liebesarbeit zugleich zum
Führer eines Kirchenwesens, der Evangelischen Kirche
A. u. B. in Kleinpolen,
emporwuchs. Gewiß eines kleinen Kirchenwesens,
das nur 32.000 Evangelische zählte und über
das ganze Land zerstreut war, durch das der Schnellzug
zehn Stunden führt. Aber diese kleine Kirche mit
ihren 24 Pfarrämtern und 30 Pfarrern hatte in jeder
der 120 Gemeinden jeden Sonntag Gottesdienste, die neben
den Geistlichen
evangelische Lehrer und Presbyter hielten. Und wie rege
war das Gemeindeleten und der.Gottesdienstbesuch!
Zöckler wußte um die Bedeutung des evangelischen
Schulwesens und ist dafür immer eingetreten. Kirche
und Schule waren aufs engste miteinander verbunden.
32.000 Evangelische batten 88 Volksund Hauptschulen,
zwei Gymnasien und eine evangelische
Volkshochschule..Als Zöckler daran ging, in Stanislau
eine Schule zu eröffnen, da sagte ein Presbyter:
"Herr Pfarrer, so wahr mir auf der inneren Handfläche
keine Haare wachsen werden, so wahr wird es in Stanislau
keine evangelische Volksschule geben". Und dahn
gab es in Stanislau nicht nur eine eyangelische Volksschule,
sondern.auch eine Hauptschule und ein Gymnasium.
Aber Zöckler sorgte nicht nur für die schulische
Ausbildung der Jugend. In schwerer Zeit, als es keine
Lehrstellen und 'keine Arbeitsstellen für junge
Leute gab, gründete er mit Freunden die Maschinenfabrik
"Vis", die Tischler, Gießer,
Schlosser, Schmiede und Schweißer ausbildete und
beschäftigte.

Auch die deutschen Katholiken in Galizien haben Zöckler
größtes Vertrauen entgegengebracht. Auch
ihnen war er Helfer, Berater, Führer und Wegweiser
in vielen Dingen. 1907 gründete Zöckler mit
dem Katholiken Josef Schmidt den "Bund
christlicher Deutscher in Galizien", der
bis 1939, bis zur Umsiedlung der evangelischen und katholischen
Deutschen aus Galizien bestand.
Zöckler respektierte das Volkstum als Gabe Gottes
und trat darum auch dafür ein, daß den evangelischen
Polen das Evangelium in ihrer Sprache verkündigt
wird. Auf Zöcklers Anregung und Initüitive
hin wurde der "Weltbund für Freundschaftsarbeit
der Kirchen in Polen" und der "Rat
der evangelischen Kirchen in Polen" gegründet,
in dem die sechs selbständigen evangelischen Kirchen
zusammengeschlossen waren ohne Rücksicht auf ihr
Volkstum. Weil alle ihm vertrauten, darum wurde Zöckler
auch der Bischof der evangelischen Bewegung unter den
Ukrainern, die nach dem 1.Weltkrieg begann und vor dem
2.Weltkrieg nach Tausenden zählte, 14 Pfarrer und
über 20 Kapellen hatte.

Eine ungeheuere Fülle von Arbeit und Verantwortung
lastete auf Zöckler. Natürlich hatte er treue
Mitarbeiter und Helfer, die mithalfen und mitarbeiteten,
nicht zuletzt auch bei den zahllosen Hilfsaktionen,
der Gründung der Raiffeisenkasse im 1.Weltkrieg
und der schweren Zeit nachher. Aber seine treueste Mitarbeiterin,
seine rechte Hand und vor allem sein "Ohr",
auf das er in zunehmendem Maße angewiesen war,
war seine Frau Lilli, geb. Bredenkamp,
die es ausgezeichnet verstand, ihn mit zwei, drei Worten,
die sie ihm artikuliert ins Ohr sprach,. solange er
noch etwas, hören konnte, oder auf einen Zettel
schrieb, über jedes Gespräch ins Bild zu setzen
und jeder Unterhaltung folgen zu lassen.
Zöckler konnte aber alle seine Arbeit nur leisten,
weil er ein Mann des Glaubens und des Gebetes war und
mit Kräften von oben arbeitete. Ich bin in den
Anstalten von Zöckler aufgewachsen und habe als
Vikar und Mitarbeiter in den Anstalten zwei Jahre an
seinem Tisch gesessen. Bei den Mahlzeiten wurde vieles
besprochen und ich habe das Leben und Wirken dieses
gesegneten Mannes aus nächster Nähe beobachtet.
Sein starker und unerschütterlicher Glaube hat
manchen Zauderer zum Avantgardisten gemacht und' Ängstliche
zuversichtlich auch in schweren Situationen.
Und wie konnte dieser Mann beten! Manche der Gebetserhörungen
habe ich miterlebt, von anderen aus seinem Munde gehört.
Aus dem Gebet schöpfte Zöckler die Kraft für
alle seine Aufgaben, seine Arbeit und große Verantwortung.
Sein Glaube führte ihn zum Lieben, sein Predigen
zum Dienen und das Gebet zu großen Taten.

Zöcklers Werk ist unter den furchtbaren Umwälzungen,
die der 2.Weltkrieg im Gefolge hatte,
zusammengebrochen. Aber er selber ist darüber nicht
zerbrochen. Das ist wohl das größte an seinem
Leben gewesen, daß sein Glaube unerschüttert
geblieben ist. Seinen Freunden, die ihn aufs tiefste
bedauerten, daß seine ganze Lebensarbeit zusammengebrochen
sei, schrieb er: "Nein, was wir unter Gottes Leitung
tun durften, was er getan hat - denn wir sind ja nur
arme Werkzeuge, das ist nicht zusammengebrochen. Wir
haben nicht für Häuser, für Grundstücke,
nicht für äußere, in die Augen fallende
Erfolge gearbeitet - das Eigentliche, das Beste, das
war das Innerliche, das war das Verlangen, unseren lieben
Volksgenossen zum rechten Glauben zu verhelfen. Und
das bleibt".

Der ehemalige Bischof Dibelius aus Berlin schrieb im
Vorwort zum Lebensbild von Zöckler, seine Frau
unter dem Titel "Gott hört Gebet" verfaßt
hat: "Zöckler war ein lebendiger Zeuge der
christlichen Gewißheit, daß eine Arbeit,
die auf ein ewiges Ziel gerichtet ist, niemals durch
äußere Ereignisse zerstört werden kann
ihre Früchte sind in eine ewige hineingewachsen.
Was können irdische Zerstörungen dieser ewigen
Welt anhaben?"
Die Ströme des Segens, die von seiner Arbeit, seinem
Glauben, seiner Liebe und seinen Gebeten ausgegangen
sind, wirken weiter. Des bin ich Zeuge.
Jakob Wolfer
1906 dichtete Zöckler das Lied
"Gott hört Gebet", zu dem er
auch die Melodie schrieb. Das schlichte Lied wurde ins
Polnische, Ukrainische und Englische übersetzt.
Es wurde in Stanislau viel gesungen.
Gott hört Gebet! 0 freudevolle Kunde -
o rühmt´s mit Herz und Munde!
Er hört uns diese Stunde.
Gott hört. Gebet!
Gott hört Gebet! Mag Welt und Hölle schnauben
-
Er hört, wenn, wir nur glauben.
Wir lassen's uns nicht rauben:
'Gott hört Gebet!
Gott
hört Gebet! Laßt uns nur ernstlich flehen!
Laßt uns einmütig stehen!
Wir werden Wunder sehen!
Gott hört Gebet!
Gott hört Gebet! Will Sorg' und Kummer nagen
Will Satan uns verklagen -
Wir brauchen nicht zu zagen
Gott hört Gebet!
Gott hört Gebet! Und geht es auch durch Leiden
Durch tausend Bitterkeiten -
Dies Wort wird uns begleiten,
Gott hört Gebet!
Gott hört Gebet! Was auch die Zeit mag bringen,
Wir wollen jubelnd singen,
Bis wir zum Ziel durchdringen:
Gott hört Gebet!
Im schweren Jahr 1918 schrieb Zöckler:
1. Im Dunkel doch die Sonne schauen,
im tiefsten Elend Gott vertrauen,
den Kleinmut glaubend niederringen,
noch unter Tränen Psalmen singen
und - selber blutend - Wunden lindern:
das ist die Art von Gottes Kindern!
2. 0 Gott, du großer, ewig treuer,
entfach in uns dies heil ge Feuer,
daß wir in diesem Weltverderben,
wo so viel Altes stürzt in Scherben;
In diesem wilden Völkergähren
uns als die Deinen recht bewähren.
3. In deinem Wort jetzt tief zu schürfen,
jetzt deine Stimme sein zu dürfen
und unserm Volk das Heil zu künden,
daß es im Leid Dich möge finden
zu neuem und herrlichen Erleben,
das wollest du uns Vater geben!
Quelle:
Familienchronik Wolfer aus dem Teil Jakob Wolfer um 1941
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